Nach einigen tausend Kilometern auf Europas Straßen und der nächsten anstehenden Hauptuntersuchung waren neue Reifen fällig. Das erwies sich also ausgesprochen schwierig und auch bis zu einem gewissen Grad unterhaltsam.
Im Brief steht als zugelassenen Reifengröße 225/75 R15 100V – eine Größe, die es offensichtlich überhaupt nicht gibt und möglicherweise nie gegeben hat. Alle Reifen in dieser Größe haben eine Traglast von 102, was an sich kein Problem ist, da eine höhere Traglast die Mindestanforderung ja erfüllt. Alle verfügbaren Reifen sind allerdings nur mit H zertifiziert, d.h. die Höchstgeschwindigkeit darf maximal 210km/h betragen.
Da der Buick allerdings 220 km/h schnell ist, muss der Reifen vom Typ V sein. Und die sind nicht zu bekommen. Die noch in den USA montierten Reifen sind 102T, also nur bis 190 km/h freigegeben. Damit hat der Wagen sowohl die Vollabnahme als auch die letzte Hauptuntersuchung bestanden, da hat man wohl nicht so genau hingesehen. Schaut man bei US-Händlern nach Reifen, dann wird da sogar nur 102S, freigegeben bis 175km/h, als passende Größe genannt. Das würde für die USA auch reichen.
Die Frage war: Was tun? Ohne passende Reifen wird die Hauptuntersuchung nicht zu bestehen sein und die gibt es nicht. Das Problem müssen doch auch andere mit US-Fahrzeugen in Deutschland haben. Die beste Quelle für die richtige Lösung sind da Internetforen und dort habe ich dann nach Antworten gefragt. Das Ergebnis: man muss eine spezielle Ausnahmeregelung nutzen. Wenn man Winterreifen montiert, darf man auch dann H-Typen fahren, wenn eigentlich V vorgeschrieben wäre. Winterreifen in 225/75R15 102H sind preiswert zu bekommen. Man muss nur mit einem 210km/h-Aufkleber am Armaturenbrett darauf aufmerksam machen, dass man nicht schneller fahren darf. Und das haben wir bei dem bescheidenen Fahrwerk und den unterdimensionierten Bremsen sicher nicht vor.
Nachdem wir mit PROVA das Galeriegeschäft intensiviert hatten, stellte sich immer häufiger das Problem, größere Bildermengen zu Ausstellungen zu transportieren. Die BMW 5er Tourings wurden zu klein und der Anhänger war keine brauchbare Option, denn er beschränkte nicht nur die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h, was für lange Strecken ein Handicap ist, die Bilder hätten unter der Plane und bei der fehlenden Federung sehr gelitten. Wir begannen also, über bessere Lösungen nachzudenken. Nach und nach verdichtete sich das für Rainer und mich typische Ergebnis: Ein Ami-Frontlenkerbus in der Art eines Ford Econoline, ein Dodge A100 oder Chevrolet Sportsvan würden gleich für mehrere Einsatzwecke gut. Neben dem Transport von Bilder könnte er auch als Schlafplatz bei Veranstaltungen wir dem Festival of Speed dienen und hätte gleichzeitig einen hohen Wiedererkennungswert, der unsere Marke besser bekannt machen würde.
Leider sind diese Fahrzeuge in Europe selten. Alles, was wir fanden, war zu weit weg. Aber es war ja nicht wirklich eilig.
Im Herbst 2011 sind wir dann mal wieder in die USA gereist, erst via San Francisco zu Mark „Willie“ Wilcoxen und seine Frau Diana nach Mariposa, anschließend via Los Angeles über die Route 66 bis Texas, dann nach Louisiana, Florida und schließlich hoch bis nach New York, von wo wir wieder nach Hause geflogen. Die Abende in der Meadow Creek Ranch in Mariposa sind immer entspannt. Meist sitzen Willie und ich im Wohnzimmer oder auf der Veranda und sprechen über Politik – und Autos. Willie ist nicht nur einer der wenigen besten Freunde, die ich habe, sondern auch für jede Art von Technik begeistert. Und Autos stehen da ganz oben auf der Liste. Daher liegt auch immer die neueste Ausgabe von Hemmings Motor News auf dem Couchtisch. Beim Durchblättern, auf der Suche nach einem passenden Van, fällt mir ein Buick Station Wagon auf. Den hatten wir nie auf dem Schirm, aber er hat alles, was wir brauchen: Platz ohne Ende, ein polarisierendes Aussehen, das im Europa Aufmerksamkeit erregen wird, und vor allem, ein überzeugend niedriger Preis. Laut Willie sind die Autos gut, besonders der Antriebsstrang ist unverwüstlich, interessant. Aber wieder zu weit weg und zu schwierig, so einen zu begutachten und zu kaufen.
Kaum sind wir aber aus den USA zurück, ruft Willie an. Er sei gerade bei seinem Zahnarzt gewesen und hätte einen Buick auf dem Parkplatz gesehen. Es hätte sich herausgestellt, dass der dem Zahnarzt gehört. Der hätte den gerade geerbt und brauche ihm eigentlich nicht. Ob Willie mal fragen solle, was er dafür haben wolle. Nun hört man ja viel und meist nicht sehr Gutes über die Qualität US-amerikanischer Gebrauchtwagen. Aber Willie hat einen Freund, Jim Wilson, den ich auch schon in seiner Werkstatt besucht hatte. Der ist ein Nachbar und baut in seiner Firma Mariposa Hot Rods und hochwertige Sonderanfertigungen. Wir kommen überein, dass er sich den Wagen einmal ansehen soll, um Gewissheit über den Zustand zu bekommen. Auf dem Papier klingt das Angebot nämlich recht gut: geringe Laufleistung, keine Unfälle, gepflegt für sein Alter. Das Ergebnis war dann gut genug, um über weitere Schritte nachzudenken.
Das Liste der zu erledigenden Arbeiten ist überschaubar und Jims Angebot zur Behebung der gefunden Mängel und einem Basisservice ist fair.
Die Preise, die zu der Zeit für Roadmaster Wagons mit geringer Laufleistung und gepflegtem Zustand, aufgerufen werden, habe ich also um den für die Wartungsarbeiten reduziert, bei 5100$ wurde Willie dann mit dem Verkäufer einig und der Wagen am 29. März 2012 gekauft. Anschließend ging er direkt in die Werkstatt und ich habe mich um den Transport nach Deutschland gekümmert.
Nach dem Kauf, noch in Mariposa, auf dem Weg zu Jim Wilsons Mariposa Street Rods
Via Los Angeles und Bremen ging es dann nach Linz, wo der Wagen am 30. Juli 2012 angeliefert wurde.
Ich habe mir dann sofort ein Kurzzeitkennzeichen besorgt – zu dieser Zeit war das noch einfach – um ihm über das Wochenende fahren zu können.
Um den Wagen in Deutschland zulassen zu können, waren einige Arbeiten erforderlich, die ich bei USCAR24 in Wuppertal habe durchführen lassen. Ein Experte, der regelmäßig US-Exoten nach Deutschland importiert und zulässt, ist die richtige Wahl. Alle Überlegungen, dass alles in Eigenregie zu machen, erwiesen sich als sehr zeit- und kostenintensiv.
Am 15. März 2013, rund ein Jahr nach der Anschaffung in Deutschland, stand der Wagen dann zugelassen vor der Tür.
Im Alltagsbetrieb zeigt sich der Buick als typischer Amerikaner. Die in der Leistung etwas zurückgenommene LT1-Corvettemaschine ermöglicht eine hohe Endgeschwindigkeit und ein für die Wagengröße beachtliches Spurtvermögen, beides Eigenschaften die man aber nicht wirklich nutzen will. Das Fahrwerk ist fürs Cruisen auf breiten und schnurgeraden US-Interstates ausgelegt, es ist sehr weich und führt zu Wankbewegungen, wenn man den Wagen wirklich fordert. Schnell gefahrene Kurven sind nicht die Stärke des Autos, auch wenn der Antriebsstrang das erlauben wurde. Die Höchstgeschwindigkeit haben wir noch nie ausgetestet, dafür fehlt uns einfach der Mut. Dazu kommt die für Europa billige Bremsanlage, mit Trommeln an der Hinterachse. und eine sehr gefühllose indirekte Lenkung.
Die Verarbeitungsqualität ist bei weitem nicht auf dem Niveau meiner BMW-Kombis. Der verwendete Kunststoff wirkt billig, die Spaltmaße sind erschreckend, die Anbauteile technisch und optisch sehr einfach.
Nutzt man den Wagen aber wie er für Amerika gedacht war, dann hat er durchaus Qualitäten. Die Platzverhältnisse sind üppig, sieben Leute sind gut zu transportieren, vier oder fünf haben endlose Bein- und Schulterfreiheit. Selbst wenn man die Rücksitzbank nicht umklappt, fasst der Kofferraum mehr, als man für einen langen Urlaub braucht. Erweitert man den Gepäckraum, erhält man mehr als zwei Meter Ladelänge, ideal als einfaches Campingmobil. Einige Touren zum Festival of Speed nach Goodwood haben das bewiesen. Mit vier Personen, Gepäck und 30 Bildern entspannt zu einer Ausstellung und Urlaub nach Pornic in Frankreich? Kein Problem.
Der Buick als Nachtlager beim Festival of Speed
Verzichtet man an Beschleunigungsexzesse, hohe Geschwindigkeiten und Standverkehr, hält sich auch der Benzinverbrauch in Grenzen. Der Bestwert liegt bei gut 11 Litern auf 100km, meist brauchen wir gut 12 Liter, nur im Stadtverkehr sind es schon einmal 17 Liter. Aber da der Wagen in der Regel nur für besondere Einsätze auf der Langstrecke genutzt wird, ist das vertretbar.
Zudem ist der Aufmerksamkeits- und Sympathiewert des Autos unbezahlbar. Man wird auf dem Parkplatz angesprochen, der Daumen geht hoch, wenn man auf der Autobahn überholt wird und ist auf Klassikerveranstaltungen gerne gesehen. In den Jahren seit 2012 habe ich bisher nur drei weitere Roadmaster in Europa gesehen.
Überraschendes Treffen mit einem Roadmaster aus Frankreich beim Concorso Villa d’Este am Comer See